Dieter Steinmann, aus Die Spatzen

Ausstellung „Steffen Haas und die Seinen“

Ulm 2004


In Ulm war ich zur Grundschule gegangen, einmal bekam ich eine Ohrfeige vom Schuldirektor. Dies führte 2003 dazu, dass ich im Stadthaus Ulm eine große Retrospektive bekam.

...Die Schau "Steffen Haas und die Seinen" zeigt einen weit gefassten Überblick auf mehr als zwanzig Jahre reicher Produktion. Mit " ... die Seinen" ist dabei Zweierlei gemeint: erstens das Haas'sche Figurenrepertoire, Personal und Motive seiner Bildgeschichten, und zweitens vier ihm besonders nahe stehende künstlerische Kooperationspartner: der Cartoonist GUNTER HANSEN, der Maler MICHAEL RÖSCH, der Autor JOACHIM SCHULZ und der Musiker JEWGJENlJ P. A. SCHUHR, Steffen Haas' Duopartner bei den wunderbaren "Motionless Movie"-Shows; - das sind für die Bühne eingerichtete, vollends einzigartige Dia-Schau-Live Musicals, die, ginge es mit rechten Dingen zu, längst wöchentlich mindestens am Burgtheater aufgeführt würden!
Steffen Haas' Ausstellung in Ulm funktioniert etwa so wie das Prinzip der hohlen russischen Puppen, oder wie eine hausgroße Wundertüte, in der man neben allerhand Wundern sogleich auch wieder mehrere neue Wundertüten findet, die dann ebenfalls ... usw. usf. Reichlich Abwechslung wird geboten: große Gemälde, teils in Zyklen nebeneinander gestellt, brillant gemalte Landschaftsminiaturen, stille Bilder von des Künstlers Erkundungsfahrten durchs Land um Ulm, knallig witzige Cartoons, intelligent erdachte Illustrationen, kinetisch-optische Objekte, Druckgraphik und Unikatbücher, und dann, wahre Inkunabeln der neueren Bildgeschichtenkunst, teils meterlange, als fortlaufende Streifen im Format etwa fotografischer Kleinbildfilme inszenierte Comic Geschichten, in denen sich der gute Geist Wilhelm Buschs mit allen Freiheiten zeitgenössischer Malerei und Graphik zu etwas verbrüdert, das man nur als Welturaufführung bezeichnen kann.
Nicht zu vergessen: Etliches von Haas' künstlerischen Dioskuren GUNTER HANSEN und MICHAEL RÖSCH ist zu sehen, teils in enger Kooperation Entstandenes. Schade, dass nicht drei Stadthäuser auf dem Münsterplatz stehen.
Wer sich aufs nähere Betrachten oder gar aufs Lesen der Haas'schen Bildgeschichten einlässt, wird opulent belohnt. Er lernt die Bevölkerung und Einrichtung einer kleinen, aber irgendwie ziemlich kompletten, fürsorglich ausgedachten Wuselwelt kennen, in der es gleichermaßen nach allen guten Regeln der Kunst, wie auch nach dem Spielplan schönster Alltagschaotik drunter und drüber geht. Steffen Haas' liebenswerte Figuren streben unbeirrbar nach steter Freundschaftlichkeit, nach akkurat ausgefinkelter zwischentierischer Noblesse, ihnen ist es "Prosit!" - Ernst mit den wirklichen Schönheiten flotter Daseinsausgestaltung; - dafür wagen und geben sie ihr Äußerstes! Achtet man näher darauf, mit welchen Mitteln Steffen Haas all dies in Szene setzt, ahnt man, wie im Hintergrund seines Atelierbetriebs ein honoriges Schattenkabinett künstlerischer Hausgötter lachend mit den Köpfen wackelt und ihm immer neue Brocken schönster Weltformeln zuflüstert: die Zeichner-Poeten Edward Gorey und Tomi Ungerer, die Dichter Dante und Erich Kästner, Flann 0' Brien und James Joyce, Alfred Jarry und Baris Vian, William Shakespeare und Eckhard Henscheid zum Beispiel.
Die Verfahren der modernen erzählerischen Literatur, speziell, wenn sie Inhaltlich und formal-sprachllch zum Komischen hin geneigt wirken, bedeuten Steffen Haas gleich viel, wie seine höchst persönliche Liebe zum zerknitterten Idyll. Den Herzerwärmungskräften in den Geschichten Wilhelm Buschs fühlt er sich so nahe und verpflichtet, wie etlichem, das in der Malerei der letzten fünfzig, hundert Jahre Bedeutung beweist.
Und, die Hauptsache; - er kann das, was er tut. Steffen Haas hat nicht lediglich den Plan und die detaillierte Dramaturgie seines Werks im Griff, er brilliert ebenso als Meister auch in haarigen Disziplinen des Formalen und des Handwerks. Als sehr speziell werkelnder moderner Künstler und strikt origineller Bilderzähler geht er zu Werke wie ein alter Meister, der sich auch erlauben kann, im rhapsodischen Freistil-Spiel horrende Klüfte zu überspringen.
In seinem Werk gilt es, vielfach scheinbar Paradoxem nachzuspüren. Mit zum Schönsten zählt dabei, zu erfahren, wie deutlich im Sinn des Schönen, Guten und Wahren das alles zusammenhängt. Steifen Haas führt ein stetiges Tänzchen im Licht der Coincidentia Oppositorum auf: Im fröhlichen, liebevollen Anthropormophismus seiner Mose-Geschichten etwa lässt er den darwinistisch-vorfreudianisch vergammelten Schrott der, bei aller auch unabsichtlichen Komik, letzlich im Kern phobisch-düsteren Lehren Alfred Edmund Brehms derart schwungvoll Purzelbaum hinaus ins lichte Freie schlagen, um daraus etwas Neues zu biegen, dass wir - das Publikum - wie versöhnt selbst mit den Schattenseiten der Geschichte der Tiervermenschlichungskultur da stehen dürfen. Tradierte Diskrepanzen zwischen Hochkunst und spaßiger Unterhaltung hebt er dabei so souverän auf, wie eine leicht beschwipste Staatsphilharmonie, die aus Mickey Maus-Musiken das Schönste herausholt und die Mickey Maus dabei ehrlich hochleben läßt.
Verehrte Leser, denken Sie sich einen von einem Sinfonieorchester feinst gegeigten Tusch, in dem auch etliche Ukulelen, singende Sägen, von Wichteln dirigierte Nachtigallen, Jahrmarktstrompetchen und Christbaumglöckchen mittönen, und gönnen Sie sich viel Vergnügen mit den Künsten des Herrn Haas aus München.

Dieter Steinmann, aus Die Spatzen, Ulm 2004